In meinem letzten Blogbeitrag – New Work braucht New Führung – habe ich die Frage aufgegriffen, ob Führung in Verbindung mit New Work überhaupt noch benötigt wird, da gerade in modernen Formen der Teamarbeit die Selbstorganisation eine zentrale Rolle spielt. Das Ergebnis war, dass – zumindest aktuell – nicht gänzlich darauf verzichtet werden kann, sondern vielmehr die Rolle der Führungskraft neu verstanden werden muss. In diesem Beitrag setze ich mich mit der Umsetzung dieser Aufgabe mit Fokus auf der an Bedeutung gewinnenden transformatorischen Führung auseinander
Aufgaben transformatorischer Führung
Im vorangegangenen Artikel wurden zwei zentrale Formen der Führung beschrieben, die in ihren Ausprägungen unterschiedliche Ziele haben: (a) die Dinge richtig zu tun (Steigerung der Effizienz unter transaktionaler Führung) oder (b) die richtigen Dinge zu tun (Steigerung der Effektivität unter transformatorischer Führung). Letztere kann als eine Art Serviceleistung verstanden werden, deren Aufgabe auf dem Weg zu mehr Effektivität es ist, die Personen einer Organisation zur Selbstorganisation zu befähigen. Dies soll nicht implizieren, dass diese Personen ohne eine Führungskraft dazu nicht in der Lage wären. Der zentrale Kern der Selbstorganisation besteht vielmehr darin, dass sie im Sinne des Unternehmens erfolgt.
Erreicht wird dies durch eine gemeinsame Informations- und Wissensbasis, wenn also beispielsweise alle Beteiligten dasselbe Verständnis bzgl. der Unternehmensziele und -vision haben und sich immer wieder auf einen gemeinsamen Handlungsrahmen beziehen können. Dadurch werden sie auch in Sondersituationen in die Lage versetzt, Entscheidungen selbstständig im Unternehmens- und Gesamtinteresse zu treffen.
Damit liegt es in der Verantwortung einer Führungskraft folgende drei Rahmenbedingungen zu schaffen (vgl. Lauer (2014), Change Management, 2. Auflage, S. 86):
- Ein Klima der Wandlungsbereitschaft zu erzeugen und aufrechtzuerhalten,
- durch Struktur und Informationen Orientierung zu geben sowie
- Mitarbeiter*innen kontinuierlich zu motivieren, womit die Inspiration zu Veränderung und Proaktivität (bzw. Kreativität) gemeint ist.
Die selbstständige Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit Einzelner im Unternehmensinteresse ist insbesondere dann wichtig, wenn im direkten oder indirekten Kundenkontakt keine Produkte, sondern Lösungen verkauft werden sollen. Durch die Entwicklung von Standard- hin zu Individuallösungen ist es immer weniger möglich, sämtliche Entscheidungen innerhalb eines Unternehmens oder Teams zentral zu treffen oder zu steuern. Die Produkt- und Unternehmensentwicklung oder das Verfolgen einer gemeinsamen Vision wird im Idealfall aus dem Team heraus – und hier von jedem einzelnen – vorangetrieben.
Einerseits sind die oben genannten Punkte (1.-3.) klassische Führungsaufgaben, andererseits wird deutlich, dass es sich um Herausforderungen handelt, zu deren Bewältigung mehr als theoretisch angeeignetes Wissen erforderlich ist. Die Persönlichkeitsstruktur der Führungskraft spielt eine wichtige Rolle.
Gemeinsam mit A47 Consulting aus München untersuchte die Universität Bielefeld (Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie), welche Persönlichkeitsmerkmale dies sind und welche Führungskompetenzen damit zusammenhängen. Daraus entwickelten sie ein Diagnoseinstrument und Kompetenzmodell für effektive Führung (LEaD – Leadership Effectiveness and Development). Lauer ergänzt dieses Modell um die Komponente „Wohltäter“ (Lauer (2014), Change Management, 2. Auflage, S. 92), so dass sich folgendes Rollenverständnis und Kompetenzprofil für transformatorische Führungskräfte ergibt:

Folgen transformatorischer Führung
Die Abbildung macht die an moderne Führungskräfte gestellten Anforderungen deutlich und zeigt die Unabdingbarkeit sozialer Kompetenz zur erfolgreichen Umsetzung von Vorhaben und Bewältigung von Herausforderungen. Merkmale wie Empathie und Feingefühl sind zentrale Komponenten, in der Regel aber nur schwer (oder nicht) erlernbar und sollten mit dem Einstieg in eine Führungsposition daher bereits ausreichend vorhanden sein. Und zwar nicht in erster Linie zur persönlichen Unterstützung sämtlicher Mitarbeiter*innen im Dialog, sondern in Bezug auf Sinnstiftung und situative Führung auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit für jeden Einzelnen.
Soweit die Theorie, welche ich durch persönliche Erfahrungen in der Praxis bestätigen kann. In meiner Rolle als Führungskraft erlebe ich, wie Menschen durch Vertrauen und Sinnstiftung Verständnis für das große Ganze und damit ein neues Selbstbewusstsein erhalten. Dieses beflügelt sie zu mehr Entscheidungen im eigenen Handlungsfeld und führt zu Positiverlebnissen, die der Produktivität, dem Engagement und der Identifikation mit dem Unternehmen und den eigenen Aufgaben zuträglich sind. All diese Faktoren sind zentrale Werte von New Work (Selbstständigkeit, Freiheit, Teilhabe an der Gemeinschaft) und daher von zentraler Bedeutung für moderne Arbeitsformen. Ein schöner Nebeneffekt ist außerdem, dass der Krankenstand sinkt und die Burnout-Gefahr drastisch minimiert wird („Heute bleibe ich zuHause“ – eine neue Studie zeigt Gründe und Lösungsansätze für hohe Krankenstände, Hochschule Fresenius, 10.10.2018).
Ganz anders, wenn weder Vertrauen noch Verständnis für das gemeinsame Ziel vorhanden sind, weil beispielsweise die Führungskraft Hoheitswissen für sich beansprucht und Selbstständigkeit oder Entscheidungsfreiheit im Team blockiert. Auch hier spreche ich aus persönlicher Erfahrung. Das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter*innen, die Identifikation mit dem Unternehmen und den eigenen Aufgaben sinken, Tendenzen zu „Dienst nach Vorschrift“ nehmen zu und die Kreativität ab. Als erstes wandern in solchen Systemen die qualifiziertesten Mitarbeiter*innen ab. Bei allem Bestreben von Unternehmen, den War for Talents zu gewinnen, ist transformatorische Führung ein zentraler Ansatz, Mitarbeiterbindung erfolgreich zu gestalten und so am Ende auch das eigene Fortbestehen zu sichern.
Transformational leadership has emerged as one of the most important approaches for understanding and influencing employee effectiveness.
(D. Cleavener, T. P. Munyon: It’s how you frame it: Transformational leadership and the meaning of work, Business Horizons 56(3):351–360, 2013).