Die digitale Zukunft gestalten

Dieser Blogbeitrag ist die versprochene Fortsetzung meines letzten Artikels Wo geht’s hier zur Zukunft? (erschienen am 30.11.2020). Darin habe ich mich mit einer im Business Insider veröffentlichten Studie auseinandergesetzt, laut der sich deutsche Unternehmen mit der Digitalisierung nach wie vor schwertun.

Da als wesentliche Gründe

  • das Fehlen einer Vision und Gesamtstrategie genannt werden sowie,
  • dass die Angst vor Fehlern die Chancen durch Veränderung überlagert,

möchte ich in diesem Beitrag darauf eingehen,

wie die Transformation des Produktportfolios angegangen werden kann.

Das eigene Portfolio transformieren

Ein wesentlicher Hinweis vorab: In meinem letzten Beitrag ging es auch darum, dass transformationale Produkte ein hohes betriebswirtschaftliches Potenzial bergen und sich mit der Zeit exponentielle Kostenvorteile nutzen lassen. Da die Digitalisierung des Produktportfolios jedoch nicht über Nacht geschieht, müssen sich Unternehmen bewusst machen, dass sie damit erst einmal in ihre Zukunft investieren – d.h. Geld ausgeben – müssen. Einen bemerkenswerten Umsatzbeitrag leisten digitale Services und Produkte realistischerweise erst nach ein bis zwei Jahren. Nach wie vor werden also die Kernkompetenzen des Unternehmens benötigt, um die wirtschaftliche Grundlage und Investitionsfähigkeit zu sichern [BorgA, S. 36].

Einen bemerkenswerten Umsatzbeitrag leisten digitale Services und Produkte realistischerweise erst nach ein bis zwei Jahren.

Außerdem handelt es sich bei digitalen Produkten und Services nicht um eine herkömmliche Erweiterung des bisherigen Portfolios. Für eine erfolgreiche (Weiter-) Entwicklung und Implementierung benötigen Unternehmen das entsprechende Know-how, aber auch eine gewisse Offenheit der Mitarbeiter:innen, Prozesse neu zu denken und sie an veränderte Bedarfe anzupassen [BorgA, S. 32]. Der Aufbau digitaler Kompetenzen – durch Neueinstellungen und Weiterbildungsprogramme – ist für die strategische Neuausrichtung eines Unternehmens hin zu einem Anbieter digitaler Services und Produkte unerlässlich [BorgA, S. 26]. Um hier den Rahmen nicht zu sprengen, werde ich aber das Thema Aufbau digitaler Kompetenzen in meinem nächsten Blogbeitrag behandeln.

Konzeption

Das bisherige Produktportfolio dient also als Ansatzpunkt für die Transformation. Nun gilt es herauszufinden, womit ein zusätzlicher Mehrwert geschaffen werden kann. Hier ist ein To-do unerlässlich: die Befragung von Kunden.

Im Idealfall sind dies friendly customers, die sich für eine Zusammenarbeit bereiterklären, in der sie sich genügend Zeit für eine gemeinsame kritische Betrachtung des Status quo nehmen und für Rückfragen und Feedback regelmäßig zur Verfügung stehen. Ihr Input liefert nicht nur wertvolle Hinweise auf kurzfristige Verbesserungen, sondern füllt bereits den Speicher für künftige Produkt- und Serviceentwicklungen [BorgA, S. 35]. Ihr Feedback sollte auch nach jedem weiteren Entwicklungsschritt eingeholt und berücksichtigt werden.

Um sich der Konzeption smarter Lösungen zu nähern, empfiehlt es sich, nutzerorientierte Fragen zu stellen und zu beantworten. Die folgenden Fragen dienen in diesem Zusammenhang als Beispiel und Anhaltspunkt:

  • Wie werden die Produkte in der Praxis verwendet bzw. angewendet?
  • Wie sehen die Prozesse darum herum aus?
  • Welche Schritte kosten Zeit oder sind lästig?
  • Womit ließe sich die Nutzererfahrung (User Experience) nachhaltig verbessern?
  • Welche logistischen und preislichen Rahmenbedingungen sind erforderlich und realistisch?
  • In welchem Verhältnis stehen Kosten und Nutzen möglicher Verbesserungen?

Antworten auf solche Fragen geben Aufschluss darüber, wo Potenziale für eine Weiterentwicklung und Ergänzung des bestehenden Produktportfolios um smarte Lösungen liegen.

Nun sollten sich erste Ideen herauskristallisiert haben, die in einem Konzept ausgearbeitet und beschrieben werden können. Dabei hilft es, sich immer wieder zu verdeutlichen, wie das Produkt oder der Service Kunden in Zukunft hilft und welche Probleme es für sie löst. Mehrwert und größter Kundennutzen werden dadurch deutlich und/ oder bestätigt. Diese Beschreibung entbindet das Unternehmen jedoch nicht von der Pflicht, auch das Konzept (mit dem Kunden gemeinsam) kritisch zu hinterfragen, um zu einem möglichst realistischen Ergebnis zu gelangen [BorgA, S. 33].

Das Konzept sollte außerdem berücksichtigen, inwieweit sich das bestehende Geschäftsmodell durch die digitalen Lösungen verändert. Welche Organisationseinheiten gewinnen oder verlieren an kritischer Relevanz? Welche Vermarktungsstrategie führt am ehesten zum Erfolg und welche Prozesse werden unterstützend benötigt? [BorgA, S. 33] Auch die Marktsättigung und der Einführungsaufwand sollten in der Analyse Beachtung finden. Denn sie geben Aufschluss darüber, mit welchem Ressourcenaufwand neue Lösungen am Markt platziert werden können bzw. müssen, weil Kunden deren Nutzung bereits gewohnt sind oder sie vielleicht sogar ein absolutes und damit erklärungsbedürftiges Novum darstellen [BorgA, S. 36]

In Bezug auf die an der Innovation beteiligten Personen und Stakeholder dient das fertige Konzept als Arbeitsgrundlage und erfüllt folgende Funktionen [MaS, S: 138-139]:

  1. Es schafft einen Bezugsrahmen und sorgt für ein gemeinsames Verständnis von Status quo, Ziel und verwendeten Begriffen.
  2. Es skizziert das auf aktuellen Erkenntnissen beruhende Gesamtbild und zeigt Abhängigkeiten auf.
  3. Durch das Konzept werden Mängel und Unstimmigkeiten deutlich, die es im weiteren Verlauf zu beseitigen gilt.
  4. Stärken und Schwächen werden analysiert und beschrieben.

„One-Size-Fits-ALl-Praktiken und -Prozesse funktionieren vor allem deshalb nicht, weil jede Produktinnovation in ihrem ureigenen Kontext lebt und dort den Wechselwirkungen spezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen, Organisationen, Märkten und Technologien ausgesetzt ist.“

Matthias Schrader: Transformationale Produkte (2017)

Umsetzung

80-90 % aller Startups und vermutlich ähnlich viele digitale Vorhaben großer Unternehmen scheitern an der Umsetzung. Vielleicht ist dies auch ein Grund für den in der Kearney-Studie attestierten fehlenden Mut deutscher Unternehmen, die eigene Digitalisierung voranzutreiben. Ein wesentliches Hindernis ist mit Sicherheit die Komplexität des Systems, in dem Produktinnovation stattfindet. Die vielfältigen und im Vorfeld nicht absehbaren Einflussfaktoren (Marktentwicklung, Menschen, Technologie), machen eine Umsetzung rein nach „Best-Practice-Beispielen“ schwierig bzw. garantieren keineswegs den Erfolg [MaS, S. 136].

Daher macht es Sinn, in der Umsetzung auf zwei Faktoren zu achten und diese regelmäßig auf ihre Aktualität hin zu überprüfen:

  1. Ein iteratives, anwendungsgetriebenes Vorgehen
  2. Die Unterscheidung von beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Erfolgsfaktoren

Das iterative Vorgehen – ob alleine umgesetzt oder mit einem externen Dienstleister – dient als Frühwarnsystem. Indem nicht gleich ein ganzes Produkt bzw. der Service zu Ende entwickelt wird und die Prozesse darum herum angepasst werden, sondern einzelne Schritte umgesetzt und validiert werden, bewahrt man sich seine Reaktionsfähigkeit, sollten sich unerwartete Herausforderungen einstellen oder die Rahmenbedingungen verändern. Dies ist mit ein Grund dafür, weshalb sich Methoden wie das Design Thinking so großer Beliebtheit erfreuen.

Die Unterscheidung von beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Erfolgsfaktoren [BorgA, S. 35] soll dabei unterstützen, den Fokus auf die richtigen Handlungsfelder zu legen. So können Chancen aktiv genutzt und Risiken ggf. frühzeitig erkannt und ihnen entgegengewirkt werden. Eine sinnvolle und altbewährte Methode ist hier die SWOT-Analyse.

Soziale Kompetenzen

Last but not least möchte ich auch noch auf die sozialen Kompetenzen eingehen, die bei der Umsetzung digitaler Projekte eine entscheidende Rolle spielen. Der Grund dafür ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Entwicklung smarter Lösungen. In der Regel kann hier keine Einheit allein den Sieg nach Hause fahren, sondern es handelt sich um ein echtes Gemeinschaftsprojekt. Mit ein Grund, weshalb unternehmensweite Vernetzung, Team- und Projektarbeit immer wichtiger werden.

Dies liegt an der Komplexität der Leistung, die über das klassische Produktmanagement bzw. die klassische Produktentwicklung hinausgeht. Experten aus den Bereichen IT, Service und Vertrieb, aber auch die Rechtsabteilung müssen in die Entwicklung miteinbezogen werden [BorgA, S. 27]:

Welche Daten werden gespeichert und wie werden sie verarbeitet? Welche Technologie wird genutzt und wie kann die nachhaltige Entwicklung und Skalierbarkeit des Produkts sichergestellt werden? Wie wird die Lösung am Markt platziert und welcher Service bzw. Support muss Kunden und auch Mitarbeiter:innen geboten werden?

All diese Fragestellungen erfordern nicht nur gutes Projekt- und Stakeholdermanagement, sondern auch eine breite Vernetzung der Projektverantwortlichen im Unternehmen. Da mit der Transformation des Produktportfolios in der Regel auch die Transformation des Unternehmens nicht mehr aufzuhalten ist, empfiehlt sich schon früh ein paralleler Start und die aktive Begleitung der Organisationsentwicklung [BorgA, S. 34].

Empfohlene Methoden

Business Model Canvas

Das Business Model Canvas ist ein beliebtes Tool für die Geschäftsmodellentwicklung und hilft bei der Visualisierung der und Fokussierung auf die neun Grundbausteine Schlüsselpartnerschaften, -aktivitäten und -ressourcen, Wertangebote, Kundenbeziehungen, Kundensegmente, Kanäle, Kostenstruktur und Einnahmequellen.

Quelle: Strategyzer.com bzw. Wikipedia

Product Field

Das Product Field ist eine Methode für Product Thinking – also die Einnahme der Produktperspektive anstatt z.B. des Denkens in Prozessen. Es bildet die Basis der unter Konzeption beschriebenen Punkte 1-4.

Quelle und Beschreibung der Methode unter Productfield.com

Design Thinking

Design Thinking ist ein iterativer Prozess zur kontinuierlichen Produktentwicklung und -verbesserung. Durch das schnelle und regelmäßige Einholen von Nutzer-Feedback werden in kurzer Zeit Erkenntnisse gewonnen, die in die Entwicklung einfließen können. Außerdem beugt die Methode Fehlentwicklungen vor, da die einzelnen Schritte immer wieder durchlaufen werden.

Quelle und Beschreibung der Methode im Gründerszene Lexikon.

Quellen

[BorgA] Arndt Borgmeier et al.: Smart Services und Internet der Dinge, Hanser Verlag, 2017

[MaS] Matthias Schrader: Transformationale Produkte, Next Factory Ottensen, Hamburg, 2017