Wo geht’s hier zur Zukunft?

Deutsche Unternehmen tun sich schwer mit der Digitalisierung. Zu diesem Schluss kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Beratungshauses Kearney, über die der Business Insider berichtet. Sie geht der Frage nach, wie digitalisierungsfähig und -willig deutsche Unternehmen sind, und ob sie dabei strategisch vorgehen. In diesem Beitrag zeige ich darüber hinaus auf, woran Unternehmen in Bezug auf ihre eigene Digitalisierung häufig scheitern und welche Voraussetzungen für die strategische Ausrichtung in eine digitale Zukunft gegeben sein müssen.

Erste Erkenntnisse

Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Managementforschung führte Kearney im Laufe dieses Jahres 165 Interviews mit Vorstandsmitgliedern deutscher Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen durch (darunter Automobil, Maschinenbau, Handel, Chemie und Pharmazie).

80 % der befragten Unternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro und stellen ihren wirtschaftlichen Erfolg damit unter Beweis. Ein Erfolg, der Ergebnis nachhaltigen Wachstums ist und der in der Regel auf drei wesentlichen Dingen beruht:

  1. Einer Vision
    Die Vision entspricht einer Leitidee. Sie zeigt auf, welches Bild das Unternehmen in z.B. 10 Jahren von sich selbst hat. Wo will es stehen? Welche Produkte verkaufen? Welchen Marktanteil haben? Was macht es einzigartig und wen möchte es beeindrucken?

  2. Einer Mission
    Die Mission (oder auch engl. Mission Statement) verschriftlicht die Vision in sog. Unternehmensgrundsätzen oder -leitlinien, die insbesondere Mitarbeiter:innen als Orientierung dienen.

  3. Einem strategischen Vorgehen
    Um sein Zielbild zu erreichen, muss ein Unternehmen strategisch vorgehen. Es muss sich Ziele setzen, die auf die Vision einzahlen, und diese Ziele strategisch klug angehen.

Das Lied von Vision, Mission und Strategie gehört zu den Grundlagen der Unternehmensführung. Doch in Bezug auf eine digitale Zukunft, welche die Rahmenbedingungen unserer Marktwirtschaft auf den Kopf stellt, mangelt es deutschen Unternehmen scheinbar an Kreativität und Vorstellungsvermögen, um damit umzugehen. Zu diesem Ergebnis kommt Kearney und fasst in seiner Studie die befragten Unternehmen in folgenden fünf Kategorien zusammen:

  • Risikoscheue Standard-Digitalisierer: Die Mehrheit der Befragten (40 %) sind eher risikoscheu und weisen wenig kreative Lösungsansätze in Bezug auf ihre eigene Digitalisierung auf. Ihnen fehlt es an einem klaren strategischen Ziel, ihre inneren Strukturen verhindern das Etablieren einer digitalen Kultur.
  • Nicht-disruptive Digitalisierer: Sie machen ein Viertel (25 %) der Befragten aus und schaffen es zwar, eine digitale Kultur zu etablieren, doch es dominiert die Angst, sich selbst zu kannibalisieren. Dabei ist es viel sinnvoller, sein eigenes Kerngeschäft zu überholen, als dies dem Wettbewerb zu überlassen.
  • Ambitionierte Digital-Getriebene: 15 % der Befragten wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, weisen jedoch eine hohe Ungeduld und Erwartungshaltung auf. Dies macht sich in häufigen Kurswechseln bemerkbar, da auch ihnen ein klares Ziel fehlt. Darunter leidet nicht nur die Umsetzung, sondern auch Mitarbeiter:innen und Kund:innen.
  • Digitalklagende: Digitalklagende (10 %) erkennen das Potenzial der Digitalisierung, sehen aber vor allen Dingen Probleme und haben nur wenig eigene digitale Kompetenzen im Haus. Dies erschwert die Erarbeitung strategischer Maßnahmen und die realistische Einschätzung von Machbarkeit, Chancen und Risiken.
  • Digitalverweigerer: 3 % der Befragten betrachten die Digitalisierung als Hype, der irgendwann vorübergehen wird.
  • Mischformen: Die übrigen 7 % sind keinem der oben genannten Typen zuzuordnen. Ihnen mangelt es aber ebenfalls an einem strategischen Umgang mit der Digitalisierung des eigenen Unternehmens.  
  • In Bezug auf die Digitalisierung fehlt den Unternehmen eine Vision und Gesamtstrategie.
  • Die Angst vor Fehlern überlagert die Chancen durch Veränderung.


Der kritischste Punkt an dieser Situation ist, dass ein fehlender Plan im Umgang mit der Digitalisierung nicht zuletzt auch ein fehlender Plan in Bezug auf den Erhalt der eigenen Zukunftsfähigkeit ist. Unternehmen müssen sich auf die Suche nach ihrer Nische machen, aus der heraus sie auch zukünftigen Generationen noch einen Mehrwert bieten und auf veränderte Bedarfe eingehen können.

Ursachen und digitale Kompetenz

Digitalisierung ist ein Buzzword. Und Buzzwords haben den Nachteil, dass jeder ein bisschen etwas anderes darunter versteht. Ein Definitionsversuch von Prof. Dr. Oliver Bendel im Gabler Wirtschaftslexikon macht dies deutlich:

„Der Begriff der Digitalisierung hat mehrere Bedeutungen. Er kann die digitale Umwandlung und Darstellung bzw. Durchführung von Information und Kommunikation oder die digitale Modifikation von Instrumenten, Geräten und Fahrzeugen ebenso meinen wie die digitale Revolution, die auch als dritte Revolution bekannt ist, bzw. die digitale Wende. Im letzteren Kontext werden nicht zuletzt „Informationszeitalter“ und „Computerisierung“ genannt.“

Auch wenn wir schon seit Jahren darüber sprechen: Für die Menschheit ist die Digitalisierung immer noch ein recht neues Phänomen. Die Mehrheit der Berufstätigen von heute hat das Erwachsenenalter ohne Handy erreicht und wurde erst in den letzten Jahren damit konfrontiert, digitale Kompetenzen entwickeln zu müssen. Da überrascht es nicht, dass laut Europe’s Digital Progress Report 2017 der Europäischen Kommission im Jahr 2016 44 % der EU-Bürger unzureichende digitale Kompetenzen aufweisen. Doch was genau sind digitale Kompetenzen?

Zur Klärung hat die Europäische Kommission den Europäischen Referenzrahmen für digitale Kompetenzen (DigComp) ins Leben gerufen, der 21 Kompetenzen in fünf Bereiche unterteilt (Quelle: SchoolEducationGateway / DigComp 2.0):

  1. Verständnis von Informationen und Daten
  2. Kommunikation und Zusammenarbeit
  3. Digitale Inhalte erstellen können
  4. Sicherheit der Geräte, der personenbezogenen Daten und der Umwelt beim Umgang mit digitalen Technologien
  5. Problemlösungsstrategien

Insbesondere unter 5. Problemlösungsstrategie werden vier wichtige digitale Kompetenzen zusammengefasst:

  1. Technische Problemlösung
  2. Bedarfe und technologische Antworten darauf identifizieren können
  3. Kreative Nutzung digitaler Technologien
  4. Identifizierung digitaler Kompetenzlücken

Sind diese Kompetenzen in Unternehmen – und insbesondere in den steuernden Rollen und Funktionen – nicht vorhanden, kann es zu einer Überforderung mit dem Thema Digitalisierung kommen und zu einem Ergebnis von Planlosigkeit, wie es die Studie von Kearney offenlegt.

Transformation

Auf dem Weg in eine digitale Zukunft müssen Unternehmen ihr Augenmerk auf zwei Bereiche lenken:

  1. Die Digitalisierung ihrer Prozesse
  2. Die Digitalisierung ihrer Produkte

Nach meinen Erfahrungen tun sich Unternehmen mit der Digitalisierung ihrer Prozesse leichter, da es hier Anbieter am Markt gibt, die Bedarfe erkannt und entsprechende Lösungen entwickelt haben. In nahezu jedem Bereich erleichtern uns digitale Tools heute die (Zusammen-)Arbeit und den Austausch von Daten und Informationen: Cloudbasierte Dokumentenablagen, der Austausch von Dokumenten inklusive rechtsgültiger digitaler Signatur, ERP- und Shopsysteme, Software für das Bewerbermanagement und die Gehaltsabrechnung, Buchhaltungs-Software, Customer Relationship Management-Systeme – um nur ein paar zu nennen.

Schwieriger wiegt die Aufgabe, das eigene analoge Produktportfolio in die digitale Welt zu überführen. Denn hier liegt der Fokus nicht mehr auf dem physischen Produkt selbst, sondern auf dem damit in Verbindung stehenden Service. Ein sehr prominentes Beispiel hierfür sind Car-Sharing-Modelle, bei denen der Nutzer sich über eine App bei einem Anbieter registriert. In der App sieht er die Standorte der zur Verfügung stehenden Fahrzeuge. Er kann sie über die App aufschließen und direkt losfahren. Das Service-Versprechen: individuelle Mobilität, ohne selbst ein Auto besitzen zu müssen. Die flexible Mobilität des Einzelnen steht im Fokus, das Auto ist nur noch Mittel zum Zweck.

Diese Art der Transformation des eigenen Produktportfolios macht Matthias Schrader an drei Faktoren fest [MaS, S. 62]:

  • Transformation der Nutzererwartung: Durch das veränderte Produkt verändert sich auch die Erwartung des Nutzers auf die gesamte Produktkategorie.
  • Transformation des Nutzerverhaltens: : Die Veränderung des Produkts führt auch zu einem nachhaltig veränderten Nutzerverhalten.
  • Transformation der Wertschöpfung: Transformationale Produkte bergen ein hohes betriebswirtschaftliches Potenzial. Denn durch die Digitalisierung des Produktportfolios lassen sich mit der Zeit exponentielle Kostenvorteile nutzen. Mit verhältnismäßig geringem Mitteleinsatz sind transformationale Produkte theoretisch unendlich skalierbar.

Der letzte Punkt macht die Notwendigkeit der Digitalisierung von Unternehmen und deren Produkten noch einmal besonders deutlich: Wird die eigene Transformation verpasst, fällt man perspektivisch unweigerlich hinter dem (internationalen) Wettbewerb zurück, da man das betriebswirtschaftliche Potenzial nicht nutzt und damit die Chance auf zukünftiges Wachstum vergibt.

Fazit

Um die Digitalisierung im eigenen Unternehmen erfolgreich vorantreiben zu können, bedarf es einer wesentlichen Aufgabe: Unternehmen und deren Entscheider müssen sich selbst einer Prüfung unterziehen und der Frage stellen, welche digitale Kompetenzen im Unternehmen bereits vorhanden sind und welche fehlen. Sie müssen eine Idee davon bekommen, in welche Richtung sich ihr Unternehmen in einer digitalen Marktwirtschaft entwickeln soll und welche Bedarfe sie zukünftig mit welchen Mitteln decken möchten.

Dabei hilft der Austausch mit Kunden und auch dem Wettbewerb. In dieser Phase des Sich-neu-Erfindens ist quasi alles erlaubt, um Antworten auf Fragen zu erhalten. Absolut notwendig ist es, sich einzugestehen, was man nicht weiß, und sich das Wissen anzueignen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Unternehmen mit drei Dingen auseinandersetzen müssen, wenn sie die eigene Digitalisierung vorantreiben und damit zukunftsfähig bleiben möchten. 

  1. Sie brauchen eine Vision, eine Mission und eine klare Strategie.
  2. Sie müssen gewährleisten, dass digitale Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind und diese ggf. weiter aus- und aufbauen.
  3. Sie müssen ihre Produkte so (weiter-)entwickeln, dass diese mit digitalen Services kompatibel sind oder perspektivisch sogar durch diese abgelöst werden.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird sich mein nächster Beitrag mit dem Aufbau digitaler Kompetenzen befassen sowie mit der Bedeutung und Entwicklung transformationaler Produkte.

Stay tuned!

QUellen

[MaS] Matthias Schrader: Transformationale Produkte; Next Factory Ottensen, Hamburg, 2017